Viele PatientInnen mit chronischen Krankheiten, wie etwa AIDS, Tuberkulose oder Autoimmunerkrankungen, leiden an einer rätselhaften Zusatzerkrankung – der Kachexie. Bei KrebspatientInnen sind sogar rund 80 Prozent betroffen. Dabei handelt es sich um ein hochkomplexes und noch wenig verstandenes Syndrom, das zu einem unkontrollierbaren Gewichtsverlust sowie einem Abbau des Muskelgewebes führt und wesentlich zum vorzeitigen Tod beiträgt. Trotz des enormen klinischen Bedarfs sind die Standards für Diagnose und Betreuung von kachektischen PatientInnen nach wie vor unzureichend und wirksame Behandlungsmöglichkeiten fehlen.
Die Forschungsgruppe von Andreas Bergthaler vom Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (CeMM) hat in Zusammenarbeit mit WissenschafterInnen der Universität Graz, der Medizinischen Universität Wien sowie PartnerInnen aus Deutschland, Schweiz und USA nun einen Mechanismus untersucht, der erklärt, wie chronische Virusinfektionen zur Kachexie führen können. Die Ergebnisse der Studie wurden in der aktuellen Ausgabe von Nature Immunology veröffentlicht
Neu geordnetes Fettgewebe
Die ForscherInnen konnten zentrale molekulare Akteure identifizieren, die bei chronischen Infektionen zur Kachexie führen. Die Untersuchungen zeigten, dass die Virusinfektion zu einer gravierenden Reorganisation der Architektur des Fettgewebes führte. Dies war mit der Aktivierung der Lipolyse verbunden, einer molekularen Kaskade von Prozessen, die der Körper zur Auflösung seiner Fettdepots verwendet. „Überraschend war“, so Hatoon Baazim, Erstautorin der Studie und Doktorandin am CeMM, „dass keiner der Entzündungsmediatoren, von denen bekannt ist, dass sie Kachexie bei Krebs auslösen, in unserer Infektionsstudie eine Rolle spielen.“
T-Killerzellen beeinflussen die Entstehung der virusinduzierten Kachexie
Bei der Untersuchung anderer möglicher Mechanismen stellten die WissenschafterInnen fest, dass ein bestimmter Zelltyp des Immunsystems für die Auslösung der Kachexie verantwortlich ist: CD8-T-Zellen. Diese, auch T-Killerzellen genannten, Immunzellen erkennen normalerweise virusinfizierte Zellen oder Krebszellen und töten sie ab. Die Studie konnte nun zum ersten Mal zeigen, dass CD8-T-Zellen für die Auslösung der Kachexie bei Infektionen eine zentrale Rolle zukommt. Dabei spielen zusätzliche Signale des antiviralen Zytokines Typ-I-Interferon, einem körpereigenen Botenstoff des Immunsystems, sowie die Erkennung des Virus durch die CD8 T Zellen eine wichtige Rolle. „Die Virus-induzierte Kachexie unterscheidet sich von der Krebs-induzierten zum einen durch ihre Umkehrbarkeit und zum anderen dadurch, dass sie nicht durch die klassischen Zytokine ausgelöst wird. Vielmehr ist es die Immunantwort des Körpers auf den Virus, die T-Zellen, die eine Veränderung des Fettgewebes hin zum totalen Abbau der Fettreserven einleiten. Inhibiert man die Immunantwort während der Virusinfektion, schützt das vor Kachexie“, erklärt Martina Schweiger vom Institut für Molekulare Biowissenschaften der Universität Graz, die gemeinsam mit Rudolf Zechner an der Publikation maßgeblich beteiligt war.
Innovative Therapiestrategien
Die Studie stellt für die internationale Forschungsgemeinschaft ein wertvolles Modell bereit, um die molekularen Mechanismen der Kachexie weiter zu erforschen. Dies kann zu einem besseren Verständnis von Infektionen wie AIDS, Tuberkulose oder Malaria und anderen parasitären Erkrankungen, die Kachexie verursachen, beitragen. Solche neuen Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung könnten die Entwicklung innovativer Therapiestrategien zur Linderung der Kachexie und der damit verbundenen lebensbedrohlichen chronischen Krankheiten anregen. Diese Studie wurde gefördert vom European Research Council (ERC), der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, dem Österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF), der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und den US National Institutes of Health.
Publikation: Baazim, Schweiger et.al.: CD8+ T cells induce cachexia during chronic viral infection, Nature Immunology (20.5.2019). DOI: DOI: 10.1038 / s41590-019-0397-y
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