Viele schränken sich ein, viele verzichten. Um andere zu schützen. Gemeinwohl lautet die Parole, die mit der ersten Virus-Welle vor einem Jahr ausgegeben wurde. Von einer „Wiederentdeckung“ spricht Kurt Remele, Ethiker an der Universität Graz, in seinem neuen Buch „Es geht uns besser, wenn es allen gut geht.“ Remele ordnet dieses Revival auch als Reaktion ein: „auf ungezügelten Kapitalismus und soziokulturellen Narzissmus, politischen Nationalismus und digitalen Individualismus.“
Das Wohl der Gemeinschaft schließt jenes der Einzelnen aber keinesfalls aus. „Das Wohlergehen des Individuums und der Gesellschaft stehen immer in Beziehung, es muss etwa Grund- und Menschenrechte sowie Minderheiten berücksichtigen“, appelliert der Professor für Ethik und Gesellschaftslehre. Tiere gehören für ihn ebenso zum Gemeinwohl wie Fragen des Klimawandels. Diese Themen seien ja meist mit Einschränkungen verbunden. Letztendlich geht es darum, die Balance zu finden und sinnstiftend zu vermitteln.
„Gemeinwohl muss stets ausverhandelt werden, egal ob in einer Gesellschaft, in einem Staat oder in der Familie.“ Aber es wurde auch ideologisch missbraucht, wie er in seinem Buch aufzeigt.
Als Theologe setzt sich der Autor naturgemäß mit der katholischen Soziallehre auseinander: „Solidarität füreinander ist nicht so sehr Schranke und Begrenzung des eigenen Freiheitsdrangs, sondern ergänzt und ermöglicht vor allem die Selbstverwirklichung und Selbstgestaltung der einzelnen Person.“ Das beschreibt Kurt Remele zu Beginn seines neuen Buches am Beispiel des anglikanischen Bischofs David Sheppard und seines katholischen Amtsbruders Derek Worlock. Die beiden haben sich Ende des 20. Jahrhunderts im britischen Liverpool in Klassen- und Straßenkämpfe und gesellschaftliche Auseinandersetzungen eingemischt und sind tatkräftig für das Gemeinwohl der Menschen eingetreten.
„Es geht uns besser, wenn es allen gut geht. Die ethische Wiederentdeckung des Gemeinwohls." von Kurt Remele ist im Verlag Grünewald erschienen.