An Klassiker der Weltliteratur hat sich die non-profit Theatergruppe des Instituts für Anglistik, die Pennyless Players, schon öfters gewagt: "The Importance of Being Earnest" (2011) oder Tom Stoppards "Rosencrantz and Guildenstern are dead" (2015) zählen als Highlights dazu. Mit George Orwells dystopischem Roman „1984“ (Adaption: Matthew Dunster) bringen die Studierenden heuer jedoch ihr bislang düsterstes Werk glaubwürdig und eindrucksvoll auf die Bühne. Heute erscheint das Thema des Romans aktueller denn je: "Alternative Fakten", Vorratsdatenspeicherung oder die Enthüllungen von Whistleblower Edward Snowden sorgen dafür. Die Premiere von "1984" am 18. Mai im Theater am Lend ließ das Publikum nachdenklich und zugleich begeistert zurück, fünf weitere Aufführungstermine gibt es heute beziehungsweise kommende Woche.
Die Handlung ist bekannt: In einer nahen Zukunft lebt Winston Smith (Valerie Moser) in einem totalitären Überwachungsstaat ohne Privatsphäre. „Big Brother is watching you“ – das heute geflügelte Wort ist in Winstons Welt Realität: Der „große Bruder“, in der Aufführung durch Toneinspielungen und auf einer Videowand omnipräsent, sieht alles und hört alles. Winston arbeitet im „Ministerium für Wahrheit“ in London und ist mit der Aufgabe betraut, durch Manipulation von historischen Aufzeichnungen das Geschichtsbild an die Linie der Staatspartei anzupassen. Als Julia, ebenfalls Parteimitglied, Winston ihre Liebe gesteht, beginnt Winston, gegen die Partei aufzubegehren. Die Konsequenzen sind katastrophal: Am Ende verliert Winston trotz heftigstem Widerstand nicht nur Julia, sondern vor allem auch ihre Überzeugungen, ihre Selbstachtung und ihre Identität.
Das Theater am Lend bietet die perfekte Kulisse für die dunkle Version der Zukunft, die George Orwell Ende der 1940er-Jahre entwarf. Eine kahle, schwarze Bühne mit geschickt angeordneten Kisten als nahezu einzigen Requisiten spiegelt die Gleichförmigkeit wider, in der sich die Charaktere bewegen. Michael Fabians bedrohlich anmutende Musik, die klug gewählten Kostüme und das durchdachte Arrangement von Bild- und Toneinspielungen erschaffen rasch ein klaustrophobisches Gefühl, das den Grundton des Romans perfekt trifft. Hochprofessionell agiert auch das gesamte Ensemble von insgesamt 28 begeisterten SchauspielerInnen. Besonders hervorzuheben ist Valerie Moser als Winston, hier im Gegensatz zur Buchvorlage eine Frau, was der Liebesbeziehung zu Julia (hervorragend in ihrer auf Körperlichkeit beschränkten Naivität dargestellt von Nanne Pyrhönen) eine zusätzliche Brisanz verleiht.
Moser wirft sich mit voller Inbrunst in die Darstellung der gequälten Winston, die nach Folter und Gehirnwäsche als psychisches und physisches Wrack zurückbleibt, jedoch, von „Liebe“ zu „Big Brother“ erfüllt, nicht mehr fähig ist, die eigene Lage zu begreifen. Eine Warnung für Zartbesaitete: Die Szenen im „Raum 101“, in dem Winstons Widerstand brutal und endgültig durch den Parteispion O’Brien (als prominenter Neuzugang: der Filmregisseur, Autor und Spieleentwickler Alain Xalabarde) gebrochen wird, sind intensiv, realistisch und nehmen auch viel zeitlichen Raum ein. Xalabardes verräterischer O’Brien gibt mit ruhigem Timbre und kühler Entschlossenheit, die nicht vor Brutalität und Sadismus zurückschreckt, dem Staatsterror ein furchteinflößendes Gesicht.
Wie immer profitieren wohltätige Einnahmen von der Schauspiel-Leidenschaft der Players: Das Center of Love in Ägypten, die Frauenhäuser Graz und der Verein GEMA erhalten in diesem Jahr die Einnahmen der Schauspieltruppe, die daher wieder einmal „pennyless“ bleibt.
Aufführungstermine „1984“: 19., 21., 22., 24. und 25. Mai 2017, Beginn jeweils um 19:30 Uhr
Ort: Theater am Lend, WienerStraße 58a, 8020 Graz
>> Die „1984“-RegisseurInnen Elisabeth Schneider und David Leersch im Webradio-Interview