Wissbegierige Kinder, die ihre LehrerInnen mit interessierten Fragen löchern und mit Freude Buchstaben und Grundrechnungsarten erarbeiten – dieses Bild trifft nur höchst selten auf Volksschulen in Sri Lanka und Kambodscha zu. Die Folgen des Bürgerkriegs beziehungsweise der Herrschaft der Roten Khmer sind auch im Bildungsbereich noch deutlich spürbar, es mangelt an ausgebildeten Lehrkräften. Der Unterricht, so er überhaupt stattfindet, besteht meist darin, dass ganze Buchkapitel auswendig gelernt werden müssen, mit harten Sanktionen für die, die es nicht schaffen. „Besonders in ländlichen Regionen sind die Kinder fast chancenlos, den Anforderungen nachzukommen“, schildert Sandra Hummel vom Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaft der Universität Graz. Sie hat ein einzigartiges, von der EU finanziertes Projekt initiiert, das die Situation nachhaltig verbessern soll.
„CONTESSA” – kurz für Contemporary Teaching Skills for South Asia – setzt auf mehreren Ebenen an, um einen kindgerechten Unterricht zu etablieren. „Zunächst müssen wir in der Ausbildung einen lernendenzentrierten Zugang einbringen“, erklärt Hummel. Bisher wurde an den Universitäten nur mit Theorien und teilweise veralteten Inhalten gearbeitet, die Perspektive der SchülerInnen, ihre Bedürfnisse sowie Methoden, wie man sie zum Nachdenken und zum Kompetenzaufbau anregt, blieben völlig ausgespart. „Es gibt keinerlei Praxisbezug, die angehenden LehrerInnen erfahren auch nichts über Lernvoraussetzungen“, führt die Wissenschafterin aus.
All das wird in den beiden Ländern nun in die Ausbildung für VolksschullehrerInnen integriert. Die dazu nötigen Methoden und Materialien erarbeiten die Grazer ForscherInnen gemeinsam mit asiatischen KollegInnen. „Das Interesse der Lehrenden und Studierenden ist enorm, es ist bereits ein Umdenken im Gange“, freut sich Hummel. Zusätzlich wird es verpflichtende Weiterbildungen für jene geben, die bereits in der Schule tätig sind. Parallel dazu wird ein „Train-the-trainer“-Programm eingerichtet, damit die neuen Konzepte und Herangehensweisen auch in den asiatischen Institutionen verankert werden.
Sensibler Umbau
Um tatsächlich erfolgreich zu sein, hat die Grazer Erziehungswissenschafterin zunächst die Ausbildungssituation von Lehramtsstudierenden in Kambodscha und Sri Lanka im Detail untersucht und mit allen Beteiligten ausführliche Interviews geführt. „Das war eine wichtige Voraussetzung, damit unsere Ideen auch in bestehende Strukturen passen und wir auf die Bedürfnisse der Zielgruppe eingehen können“, so Hummel. Je zwei Universitäten in den beiden Ländern sind Projektpartner und kümmern sich unter anderem um die Übersetzung der erarbeiteten Materialien in die unterschiedlichen Sprachen. Außerdem achten sie darauf, dass ethnische und kulturelle Besonderheiten in ausreichendem Maße berücksichtigt sind.
Die Inhalte für Aus- und Weiterbildung werden über eine Open-Access-Plattform zur Verfügung gestellt, weil sie damit flexibel und kostengünstig genutzt werden können. Die technische Umsetzung hat die TU Dresden übernommen. „Die deutschen KollegInnen leisten derzeit vor Ort viel Einschulungs- und Unterstützungsarbeit, da Lehrende und Studierende noch großen Respekt vor Computern haben“, berichtet Hummel. Das große Interesse an den Bildungsinstitutionen und der breite Rückhalt durch die zuständigen Ministerien der beiden Staaten stimmen sie aber zuversichtlich, dass das Projekt erwartungsgemäß läuft. Nach drei Jahren soll ein selbsterhaltendes System geschaffen sein, das von ExpertInnen in den Ländern gewartet wird. „Da wir bei Studierenden, AusbildnerInnen und aktiven LehrerInnen ansetzen, haben wir eine gute Chance, dass sich zum Wohle der Kinder wirklich etwas bewegt. Das ist für mich sehr reizvoll“, betont die Grazer Erziehungswissenschafterin. Das Projekt könnte in weiterer Folge auf die Sekundarstufe ausgebaut werden. Die Materialien sind prinzipiell auch für andere Länder verfügbar, wenn sie in die jeweiligen Sprachen übersetzt werden.
Historische Bürde
In den ländlichen Regionen im Nordosten Sri Lankas sind heute noch die Folgen des 2009 beendeten Bürgerkriegs spürbar, die hauptsächlich tamilische Bevölkerung hat unter anderem aus finanziellen Gründen schlechte Bildungsmöglichkeiten. In Kambodscha galt es unter der Herrschaft der Roten Khmer bis in die 1970er-Jahre als Straftat, gebildet zu sein. Ein Großteil der Lehrkräfte floh oder wurde getötet. Folglich herrscht nach wie vor ein Mangel, eine fachspezifische und pädagogische Ausbildung sind daher keine Voraussetzung für das Unterrichten.