Spannend verlief die erste Ausgabe einer neuen Event-Reihe der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Graz namens „REWI im Gespräch“. Die online übertragene Diskussion warf heikle und sehr aktuelle Fragen rund um das Thema Big Data in Zeiten der Corona-Krise auf: Soll es eine Datenteilungspflicht für Unternehmen geben? Wie gehen wir damit um, wenn europäische Staaten von Unternehmen außerhalb Europas quasi in Schranken gewiesen werden? Wo liegt die Grenze zwischen personenbezogenen Daten und Sachdaten?
Es diskutierten Petra Schaper-Rinkel, Vizerektorin für Digitalisierung der Universität Graz, Viktor Mayer-Schönberger, Wissenschafter an der Universität Oxford und seit Kurzem Honorarprofessor an der REWI-Fakultät, und Iris Eisenberger, Professorin am Institut für Öffentliches Recht, unter der Moderation von REWI-Studiendekanin Gabriele Schmölzer. REWI-Dekan Christoph Bezemek begrüßte das online zugeschaltete Publikum zur ersten Ausgabe der neuen Gesprächsreihe, die ursprünglich für den Beginn des kommenden Wintersemesters angedacht war. Aufgrund der Aktualität des Themas wurde die Premiere der Veranstaltungsreihe vorgezogen, die, so Bezemek, sich auch in Zukunft relevanten Fragen widmen wird. Dank des hybriden Formats konnten auch Fragen, die die ZuhörerInnen per Chat-Nachricht stellen könnten, aufgegriffen werden.
Viktor Mayer-Schönberger beleuchtete in seinem Statement die Entwicklung der Stop-Corona-App des Roten Kreuzes, die sich anfänglich durch verschiedene technische Schwierigkeiten, etwa rund um den Bluetooth-Handshake, als in der Praxis nicht praktikabel erwiesen hatte. Ein rascher, zielführender, rechtlich korrekter und transparenter Einsatz der App, die für das Nachverfolgen von Infektionsketten gedachten ist, wurde auch durch die Unternehmen Apple und Google erschwert. Sie ließen, so führte Mayer-Schönberger aus, beispielsweise nur Versionen der Apps zu, die ihren Anforderungen genügten. Der Forscher bezweifelte daher in seinem Schluss-Statement die digitale Souveränität Europas: „In welcher Welt der Digitalisierung leben wir eigentlich, wenn nationale Gesundheitsbehörden in einer Pandemie einen so stark eingeschränkten Handlungsspielraum haben?“
In dieselbe Kerbe schlug auch Petra Schaper-Rinkel, die in ihrem Statement die „demokratiegefährdenden Dynamiken aktueller Innovationsprozesse“ thematisierte. Die Vizerektorin führte aus: „Einerseits haben uns digitale Technologien das Leben und Arbeiten im Lockdown erleichtert. Andererseits hat uns genau das auch die Abhängigkeit, in der wir uns momentan in Europa befinden, vor Augen geführt. Wir sollten jetzt dringend damit beginnen, eigene Infrastruktur und Plattformen aufzubauen, die uns Souveränität über unsere Daten garantieren. Europa ist groß genug und divers genug, um solche Systeme aufzubauen, die letztlich auch zur Sicherung der Demokratie beitragen.“
Iris Eisenberger forderte in ihren Ausführungen schließlich mehr Transparenz hinsichtlich des Sammelns, Vermessens und Modellierens von Daten. „All das hat in den vergangenen Monaten in einem bis dato noch nie gesehenen Ausmaß stattgefunden, ohne, dass wichtige Fragestellungen dazu breit und ausführlich diskutiert worden wären“, schilderte die Wissenschafterin. Wer sammelt die Daten und wer vermisst sie? Wer wird vermessen? Was passiert danach mit den Daten und wie wird modelliert? Bei all diesen Fragen müsse viel mehr Einsicht gewährt werden, kritisierte die Forscherin, die sich bei möglichen weiteren Lockdown-Situationen stärker ausgebaute Mindeststandards hinsichtlich Transparenz wünscht. „Auch bei einer möglichen Novellierung des Epidemiegesetzes sollte bestimmte Anforderungen hinsichtlich Transparenz jedenfalls eingehalten werden.“
Veranstaltung versäumt? Die Aufzeichnung wird in Bälde online zum Nachschauen verfügbar sein.