Sitzen die Grundrechnungsarten? Wie gut verstehen die Kinder naturwissenschaftliche Zusammenhänge? Bekommen alle ausreichend Unterstützung? Antworten auf diese Fragen lassen sich aus der aktuellsten internationalen Bildungsstudie TIMSS („Trends in International Mathematics and Science Study“) herauslesen, die heute, am 8. Dezember 2020, präsentiert werden. Heike Wendt, Professorin für empirische Bildungsforschung an der Universität Graz, hat an dieser Untersuchung mitgearbeitet und zieht Schlussfolgerungen aus den Ergebnissen: „Die österreichischen Kinder haben in Mathematik deutlich besser abgeschnitten als bei der letzten Teilnahme im Jahr 2011. Diese Qualitätssteigerung geht allerdings auf Kosten der naturwissenschaftlichen Kompetenzen. Auch in Sachen Bildungsgerechtigkeit hat sich nichts getan.“
Tiefere Gräben
Die Erhebung wurde noch vor der Corona-Pandemie durchgeführt. Es ist also davon auszugehen, dass das Homeschooling die Mängel im Sachwissen sowie den Rückstand für benachteiligte soziale Schichten noch verstärkt. „Es ist natürlich erfreulich, dass die Einführung von Bildungsstandards und der Fokus auf die Grundkompetenzen in Mathematik Wirkung gezeigt haben. Allerdings darf man dabei wichtige Themen im Sachunterricht nicht aus den Augen verlieren“, betont Wendt. Gerade in Pandemie-Zeiten wäre es notwendig, dass die Kinder die Natur, die Gesellschaft sowie Gesundheitsthemen in wesentlichen Zusammenhängen verstehen. „Nur so können sie auch ihre unmittelbare Umwelt eigenständig reflektieren und bewerten“, erklärt die Forscherin.
Was das Thema Bildungsgerechtigkeit anbelangt, zeigt sich Wendt ernüchtert: „Wir bewegen uns seit 15 Jahren nicht vom Fleck, obwohl hinlänglich bekannt ist, wie man soziale Unterschiede ausgleichen könnte.“ Das wären individualisiertes Lernen, zusätzliche Angebote für die betroffenen SchülerInnen, personelle Unterstützung in heterogenen Klassen und letztlich ein Schulsystem, das Schwächere – allen voran Kinder von ZuwanderInnen – besser fördert. „Die klassische Halbtagsgrundschule baut auf die Unterstützung durch die Eltern zu Hause. Gleichzeitig bleiben viele Freizeitaktivitäten finanzkräftigeren Familien vorbehalten, was die soziale Teilhabe der ohnehin schon Benachteiligten weiter erschwert“, kritisiert die Wissenschafterin.
Hintergrund-Gespräch
In einem Online-Vortrag am 9. Dezember 2020 um 17.30 Uhr erläutert Wendt die Ergebnisse der Bildungsstudie und steht auch für Fragen zur Verfügung.
Die Studie
TIMSS ist neben der Lese-Erhebung PIRLS die wichtigste internationale Untersuchung in den Grundschulen – analog zur PISA-Studie, an der 15-Jährige teilnehmen. „Solche Qualitätskontrollen schon bei Neun- bis Zehnjährigen sind sinnvoll, weil Kinder fehlende Grundkompetenzen später nur noch selten aufholen können und dann häufig einen besonders schweren Einstieg ins Berufsleben haben“, urteilt Wendt. TIMSS wird im Vierjahresrhythmus durchgeführt, an der aktuellen Erhebung nahmen 55 Länder teil.