Während im Corona-Lockdown vor knapp einem Jahr solidarisches Handeln bei vielen Gelegenheiten in Österreich spürbar war - beispielsweise beim Einkaufen für ältere Personen - , so ist heute davon weniger die Rede. Können wir durch die Perspektive einer Schutzimpfung gegen das Virus wieder zu einem kollektiven Gefühl des füreinander Daseins kommen? Sonja Rinofner-Kreidl vom Institut für Philosophie der Universität Graz, sieht diese Frage zwiegespalten:
"Wenn unsere Bereitschaft zu solidarischem Handeln an der Impfung hängt, dann sind wir nie solidarisch gewesen. Dann ist die Rede davon bloß ein oberflächliches Getue ohne Substanz. Solidarität bedeutet, sich so zu verhalten, dass es der Gemeinschaft dient. Unabhängig davon, ob man als Einzelperson durch eine Gegenleistung belohnt wird, wie zum Beispiel durch eine Schutzimpfung.
Solidarität ist kein Tauschgeschäft, auf das man sich gelegentlich einlässt, weil es Vorteile bringt. Sie ist tief in uns verankert und umfasst unser ganzes Leben: Niemand von uns ist als Einzelwesen überlebensfähig. Insofern stärkt das, was unsere Gemeinschaft stärkt, auch uns als Einzelpersonen. Wer aber alles im Vergrößerungsspiegel des Eigennutzes sieht und Solidarität an eine Gegenleistung bindet, hat den Sinn von Solidarität nicht verstanden."