Im Zuge der großen Fluchtbewegungen ab 2015 haben sich unzählige Freiwillige zusammengeschlossen, um die Schutzbedürftigen zu unterstützen. „Ihre Tätigkeit war und ist essenziell für ein solidarisches, friedliches Miteinander in der Steiermark“, betont Brigitte Kukovetz vom Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaften. Sie hat in einem von Annette Sprung geleiteten Projekt Erfahrungen, Bedürfnisse, Strategien sowie insbesondere die politischen Lern- und Bildungsprozesse der Ehrenamtlichen analysiert.
Die Notlage der Geflüchteten und die unzureichenden staatlichen Antworten darauf waren der Antrieb für die meisten, sich für andere einzusetzen, haben die ForscherInnen in Interviews herausgefunden. Durch das Engagement haben sie ein Bewusstsein für die eigenen Privilegien sowie ein kritisches Verständnis der globalen Zusammenhänge, der Hintergründe der Migrationsbewegungen und der entsprechenden Politik entwickelt. „Außerdem“, führt Kukovetz aus, „mussten sich die Freiwilligen Argumentationslinien zurechtlegen und Position beziehen, da sie immer wieder Gegenwind aus dem sozialen Umfeld spürten.“ Workshops und Feste sind häufige Maßnahmen, um die lokale Bevölkerung für die Geschichten und Bedürfnisse der Geflüchteten zu sensibilisieren. Im Zuge von Demonstrationen oder Protesten gegen Abschiebungen wurden viele HelferInnen auch politisch aktiv.
„Zusätzliche MitstreiterInnen konnten durch all die Maßnahmen allerdings nur wenige gewonnen werden. Es scheint, dass nur solche Leute ein solidarisches Verhalten ausbilden, die schon eine grundlegende soziale oder politische Einstellung haben“, fassen die ForscherInnen zusammen.
Umgekehrt geben manchmal Engagierte frustriert auf, weil sie sich der Widrigkeiten, die ihnen begegnen, nicht gewachsen sehen. Dazu zählen etwa die steigende Fremdenfeindlichkeit und die ständig verschärften gesetzlichen Bedingungen unter der schwarz-blauen Regierung oder die tiefgreifenden Verlusterfahrungen, wenn Schützlinge wegziehen müssen oder gar abgeschoben werden.
Gleichzeitig haben die BildungswissenschafterInnen beobachtet, dass viele Freiwillige dazu neigen, die betreuten Geflüchteten zu bevormunden, und von ihnen bestimmte Anstrengungen sowie viel Dankbarkeit erwarten. „Das ist auf jeden Fall eine Forschungsperspektive, die wir weiterverfolgen wollen“, so Kukovetz.
Ihre Forschungsergebnisse präsentieren die Grazer WissenschafterInnen am 7. November von 14 bis 19 Uhr im Gemeinderatssitzungssaal des Grazer Rathauses im Zuge der Tagung „Solidarität lernen (?): Erfahrungen und Perspektiven freiwilligen Engagements im Feld Flucht/Migration“, die für alle Interessierten frei zugänglich ist. Für ehrenamtliche UnterstützerInnen besteht auch die Möglichkeit zum Erfahrungsaustausch.