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Pflichtprogramm?

Tuesday, 01 December 2020, Universität, Forschen

Gefährden ImpfgegnerInnen das Gemeinwohl? Zwei Uni-Graz-WissenschafterInnen wagen sich auf ein ethisches Spannungsfeld

Sollen wir uns gegen Covid-19 impfen lassen? Kann ohne generelle Pflicht eine Impfung dennoch vorgeschrieben werden? Gefährden GegnerInnen sogar das Gemeinwohl? Zwei Uni-Graz-WissenschafterInnen, Medizinethikerin Martina Schmidhuber und Ethiker Thomas Gremsl, versuchen Antworten darauf zu geben. Ohne Emotion, mit Vernunft.

Einzel- und Gemeinwohl
Gleich vorweg, beide WissenschafterInnen beurteilen eine Impfpflicht überaus problematisch. Der Tenor: Einzel- und Gemeinwohl widersprechen sich nicht, da wir bei unseren Entscheidungen auch an andere denken sollten. Daher sei eine Verpflichtung fragwürdig. „In unserer Gesellschaft ist Selbstbestimmung als hohes Gut verankert“, hält Martina Schmidhuber, Professorin für Health Care Ethics am Institut für Moraltheologie, fest.

Diese Ansicht teilt Thomas Gremsl, Wissenschafter am Institut für Ethik und Gesellschaftslehre: „Als Menschen sind wir zugleich Individual- und Sozialwesen und agieren als solche immer in einem gesellschaftlichen Spannungsfeld zwischen individueller Selbstbestimmung und institutioneller Regulierung. Es ist wichtig, dass wir als Menschen die Freiheit haben, eigenverantwortlich zu handeln.“ In diesem Zusammenhang sei es entscheidend, die Verantwortung gegenüber den Mitmenschen und diese im konkreten Handeln zu berücksichtigen. „Wir alle haben also auch eine Gemeinwohlverantwortung“, so Gremsl.

Eigenverantwortung
Schmidhuber betont: „Ich trete stark für die Eigenverantwortung ein.“ Warum es damit angesichts hoher Infektionszahlen nicht so klappt, erklärt die Forscherin: „Ein Grundproblem unserer Gesellschaft ist, dass vieles reglementiert wird und eigenverantwortliches Denken und Handeln deshalb gar nicht mehr erlernt wird.“
Am Beispiel der Corona-Impfung müsse man bedenken, wann diese tatsächlich Sinn macht? „Oder“, fragt Schmidhuber, „gibt es Alternativen, um andere nicht zu gefährden? Etwa mit Hilfe von regelmäßigen Tests, digitaler Kommunikation oder Hygienevorschriften.“ Überlegungen, eine Impfung zum Beispiel in Betrieben als Arbeitsbedingung zu verlangen, erteilt sie damit eine Absage.

Skepsis
Im Gesundheitsbereich steht die Expertin für Medizinethik einer Impfung weniger kritisch gegenüber, um vulnerable Personen zu schützen. Die Skepsis von ImpfgegnerInnen versteht Schmidhuber: „Die Entwicklung eines Serums ist sehr schnell passiert, man muss daher die Genehmigungen sehr transparent darlegen.“ Wenn nachvollziehbar dargelegt werden könne, dass die Entwicklung des Impfstoffs ordnungsgemäß stattgefunden hat, wirke dies sicher der Skepsis entgegen.

Sachebene
„Das richtige Maß“ für den Einsatz bzw. den Umgang mit einer Impfung zu finden ist ebenso für Ethiker Thomas Gremsl entscheidend. „Für eine Gesellschaft ist es wichtig die Ängste ihrer Mitglieder ernst zu nehmen. Emotional geführte, pauschalisierende schwarz-weiß Debatten, wie sie aktuell vor allem in sozialen Medien geführt werden, bringen aber keine Lösungen, sie führen nur zur weiteren Verhärtung der Fronten.“ Der Wissenschafter appelliert die Debatte auf der Sachebene zu führen, damit die Menschen die Möglichkeit haben, aufgrund faktenbasierter Argumente für sich selbst eine Entscheidung zu treffen. Auch die Grund- und Menschenrechte schützen die Position jedes einzelnen und diese dürfe in so außergewöhnlichen Zeiten nicht einfach zur Disposition stehen. „Vielmehr kann einseitiger Druck, von ‚oben‘, aber auch der egoistische Druck einzelner Gruppen, zur Gefährdung des Gemeinwohls beitragen“, mahnt Gremsl zur Wachsamkeit.

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